Die Unsicherheitsfaktoren der Testung
Die Hersteller von Coronatests geben zu ihren Analysegeräten und Testkits technische Daten an. Dabei werden zwei statistische Hauptkriterien aufgeführt: die Sensitivität, auch Empfindlichkeit genannt, und die Spezifität, zu Deutsch Genauigkeit. Die Sensitivität gibt an, wie viele von 100 Infizierten ein positives Testresultat erhalten. Liegt sie also bei 98%, so werden 98 von 100 infizierten Personen korrekterweise positiv diagnostiziert, während zwei Testergebnisse fälschlicherweise negativ ausfallen. Die Spezifität sagt aus, wie viele von 100 nicht infizierten Proben negativ getestet werden. Eine Spezifität von 95% bedeutet demnach, dass 95 Personen zu Recht ein negatives Ergebnis erhalten. Fünf Getestete werden jedoch fälschlicherweise als positiv gewertet (1). Im Normalfall verhalten sich Empfindlichkeit und Genauigkeit invers zueinander. Ist also die Sensitivität eines Tests besonders hoch, so ist seine Spezifität dafür niedriger – dies gilt auch umgekehrt (3).
Die Daten zur Verlässlichkeit eines Coronatests sind das Ergebnis von technischen Validierungen, die unter Laborbedingungen stattfinden. In der Realität sind die Tests hohen Anforderungen und variablen Bedingungen ausgesetzt, weshalb die angegebene Zuverlässigkeit in der Praxis meist nicht erreicht werden kann (2).
Die Technologie ist allerdings nicht der einzige Faktor, der die Aussagekraft eines Coronatests ausmacht. Sie wird zusätzlich durch die Qualität der Proben, deren Lagerung und Transport beeinflusst. Nicht zuletzt spielt auch der Zeitpunkt der Probenentnahme eine entscheidende Rolle. Wird ein Nasen-Rachen-Abstrich in einem sehr frühen Stadium der Infektion durchgeführt, so kann der Test negativ ausfallen, weil die Replikation des Virus in den oberen Atemwegen noch zu gering ist. Würde in diesem Fall einige Tage später noch einmal getestet, wäre das Resultat positiv (2).
Der Einfluss der Vortestwahrscheinlichkeit
Die Vortestwahrscheinlichkeit gibt an, wie hoch die Wahrscheinlichkeit einer Erkrankung vor der Laboruntersuchung ist (3). Eine Person, die Covid-19-verdächtige Symptome aufweist und Kontakt mit Infizierten hatte, weist eine hohe Vortestwahrscheinlichkeit auf (4). Gibt es allerdings keine Anzeichen dafür, dass sich die Person infiziert haben könnte, so ist die Vortestwahrscheinlichkeit gering. Diese Überlegungen fliessen in die Interpretation der Laborresultate mit ein.
Zudem wird die Verlässlichkeit von Testergebnissen massgeblich davon beeinflusst, wie gross der Anteil an Infizierten innerhalb einer Population ist. Wenn das Virus nicht weit verbreitet ist, dann fallen vergleichsweise viele Tests falsch-positiv aus, insbesondere bei Testverfahren mit niedriger Spezifität, dafür sind die negativen Ergebnisse zuverlässig. Sind jedoch bereits viele Menschen infiziert, sind zwar die positiven Ergebnisse verlässlich, es gibt aber mehr falsch-negative Tests. Dies wird verstärkt, wenn die Sensitivität eines Analysetools gering ist (4). In Schweizer Laboren werden wegen der Ungenauigkeiten der einzelnen Coronatests routinemässig Kontroll- und Referenztests durchgeführt. Insbesondere werden Testmethoden kombiniert, um die Fehlerquoten zu minimieren (2).
Gezielter Einsatz und umfassende Interpretation
Coronatests sind zweifelsohne ein wichtiger Pfeiler der Pandemiebekämpfung. Da jedoch kein Test komplett fehlerfreie Diagnosen ermöglicht, ist ein gezielter und überlegter Einsatz der Methoden unerlässlich. So ist es beispielsweise nicht sinnvoll, asymptomatische Personen flächendeckenden Tests zu unterziehen, da eine grosse Zahl an falsch-positiven Resultaten zu erwarten ist (2). Die Vortestwahrscheinlichkeit muss in allen Konsultationen mit einbezogen werden, und auch der Einsatz verschieden sensitiver und spezifischer Testsysteme soll strategisch erfolgen. Für Screening-Tests an Orten, wo Infektionsherde dringend vermieden werden müssen – gerade im Umgang mit Risikogruppen – ist eine hohe Sensitivität vonnöten. Gleichzeitig werden Anforderungen an die diagnostische Spezifität gestellt, damit gesunde Personen nicht unberechtigterweise in Quarantäne müssen (2).
Corona-Fallzahlen geben uns und den Verantwortungsträgern Anhaltspunkte über die Entwicklung der Pandemie. Diese Rolle steht den Zahlen zu, denn sie sind sorgfältig erhoben und werden von Fachkräften aufgearbeitet und interpretiert. Der Blick hinter die Kulissen der Statistik zeigt allerdings, dass sie uns bei einem unprofessionellen Umgang auch fehlleiten können. Die Testsysteme haben ihre Grenzen; so sind beispielsweise Personen mit einem positiven PCR-Test nicht zwingend akut infiziert oder gar ansteckend. Die Ergebnisse von Tests verschiedener Hersteller und Labore sind untereinander nicht reibungslos vergleichbar, da einheitliche Vorgaben fehlen. Auch der internationale Vergleich von Fallzahlen ganzer Staaten erweist sich als Herausforderung. So hängen die Fallzahlen massgeblich davon ab, wie viele Tests durchgeführt werden, an wem und wie diese Testungen erfolgen und welche Zahlen von staatlichen Stellen kommuniziert werden. Zudem werden die getesteten Fälle stets von einer Dunkelziffer begleitet. Aus solchen Gründen ist es wichtig, die absoluten Zahlen jeweils im Kontext aller erhobenen Daten und Sachverhalte zu betrachten.
Der Umgang mit Coronatests und ihren Resultaten bleibt, wie die ganze Pandemie, ein stetiges Lernen und Weiterentwickeln, bei dem Sachlichkeit und durchdachte Entscheidungen der Schlüssel zum Erfolg sind. Die Grundlagen dafür werden durch verständlich aufbereitete und faktenbasierte Information gelegt. Mit der Artikelserie zum Thema Coronatests haben wir unser Bestes gegeben, um einen Beitrag dazu zu leisten.
Sie lasen den dritten und letzten Teil der WAISCH-Artikelserie über Coronatests.
Teil 1 (Welche Testarten gibt es?) und Teil 2 (Wie funktioniert ein PCR-Test?) der Serie sowie weitere interessante Artikel finden Sie hier.
Quellen:
Weitere Quellen:
Die hier wiedergegebenen Informationen entsprechen dem Wissensstand am Publikationsdatum und werden in der Folge nicht aktualisiert.